Dokumentarfilm, AT 2024, 94 min
Verfügbare Fassungen:
Deutsche Originalfassung
Deutsche Originalfassung mit englischen Untertiteln
Ein riesiges Dankeschön an alle, die bis zur Fertigstellung an diesen Film geglaubt haben und mit Ihrer Hilfe zu seiner Verwirklichung beigetragen haben! Ich bin euch sehr dankbar und ewig verbunden!
Um seine Mutter mit beginnender Demenzerkrankung zu pflegen, zieht der erfolgreiche Magazinfotograf Michael Appelt mit Anfang fünfzig wieder in sein altes Kinderzimmer ein.
Appelt, der nach einem langen Krankenhausaufenthalt selbst traumatisiert ist und an einer schweren Depression leidet, kümmert sich liebevoll um die Mutter und träumt von früheren Abenteuern, als seine von der Fotografie dominierte Welt noch in Ordnung war.
Reiner Riedlers Dokumentarfilm ist ein persönliches Porträt über einen Freund und Wegbegleiter, das nicht bloß von essenziellen Themen des Menschseins, des Älterwerdens und der Konfrontation mit dem Ausweglosen erzählt, sondern darüber hinaus auch Michael Appelts eindrückliches fotografische OEuvre zugänglich macht.
Zuvorderst ist „Die guten Jahre“ aber eines: Das filmische Zeugnis einer bedingungslosen Liebe, die Mutter und Sohn Grundlage für ein Zusammenleben in Zeiten des Wandels ist.
Regie: Reiner Riedler
Buch: Katja Schröckenstein, Reiner Riedler
Montage und Dramaturgie: Gerhard Daurer
Co-Montage: Martin Biribauer
Dramaturgische Beratung - Schnitt: Eva Hausberger
Dramaturgische Beratung - Konzept: Katja Schröckenstein
Ton: Eva Hausberger, Andreas Pils, Maximilian Rosenberger
Künstlerische Beratung: Frank Robert
Tongestaltung und Mischung: Andreas Pils
DIT / First Camera Assistent / Drohne: Maximilian Rosenberger
Color Grading und Compositing: Bernhard Hochenauer
Musik: Imre LB
Zusätzliche Musik: Martin Hemmer
Produktionsberatung: Catrin Freundlinger, Veronika Hraby
Titel design: Michael Fürnsinn / buero8
Protagonist*nnen: Michael Appelt, Christine Appelt, Astrid Biribauer, Frank Robert, Katharina Schrems, Hannes Kment
Produktion: Reiner Riedler Filmproduktion
Hergestellt mit Unterstützung von:
BMKÖS, ORF im Rahmen des Film/Fernseh-Abkommens, MA7, Land Niederösterreich
Reiner Riedler wurde 1968 in Gmunden (Österreich) geboren. Nach der Matura in Bad Ischl studierte er einige Semester Ethnologie, Publizistik, Politikwissenschaft, Afrikanis-tik und Musikwissenschaft, ehe er sich für den Besuch des Kollegs für Fotografie an der Graphischen in Wien entschied und beschloss, sich ganz der Fotografie zu widmen. Später folgte ein Studium der Bildwissenschaften an der Donau-Universität Krems.
Reiner Riedler ist eigentlich Fotograf. Als Dokumentarfotograf beschäftigt er sich mit wichtigen Themen der Gegenwart. Sein Blick richtet sich dabei immer auf den Menschen und seine Umwelt. Das Hauptaugenmerk seiner dokumentarischen Arbeit liegt darin, unsere Wertesysteme zu hinterfragen. Als Reisender besucht er die Peripherie unserer Lebensräume, immer auf der Suche nach der fragilen Schönheit der menschlichen Existenz mit ihren Sehnsüchten und Abgründen. Seine jüngeren konzeptuellen Arbeiten hinterfragen das Wesen der Fotografie und die Art und Weise, wie wir die Welt um uns herum betrachten. Dabei versucht er die Grenzen des Mediums auszuloten.
Reiner Riedlers Arbeiten wurden in zahlreichen Ländern auf Fotofestivals, in Galerien und Museen ausgestellt. Er hat viele Jahre für internationale Zeitschriften und Magazine gearbeitet. Seine wichtigsten Arbeiten Fake Holidays, Will, Sweat, Memory Diamonds, Ukraine.Fotografien wurden neben anderen als Fotobücher herausgegeben.
Reiner Riedler ist Mitglied der Künstlerhaus Vereinigung in Wien. Er ist Gründer des Independent Photobook Labels Reflektor. Außerdem ist er Mitbegründer von Artscope Vienna, einer Plattform, die sich mit Virtual-Reality-Visualisierung von Kunsträumen beschäftigt. Film war immer auch Teil seines fotografischen Schaffens. Wichtigste Station war eine Zusammenarbeit mit Ulrich Seidl als Fotograf für seine Paradies- Trilogie. Im Jahr 2021 entschied sich Reiner Riedler schließlich, an seinem ersten Dokumentarfilm Die guten Jahre zu arbeiten.
Es waren meist nächtliche Anrufe voller Verzweiflung und Orientierungslosigkeit, die mich aus dem Bett holten. Er stehe gerade einsam auf einem verschneiten Parkplatz und niemand sei da, der ihn abhole. Sein Konto sei leergeräumt worden, seine Uhren gestohlen. In diesen Momenten wurde ich eingeholt von der anderen Welt meines Vaters - eine Welt, in die er immer öfter hinüberglitt und lange nicht mehr zurückfand, bis er schließlich ganz drüben blieb und die Anrufe ausblieben.
Eine unserer Urängste ist jene vor der eigenen Vergänglichkeit. Noch schlimmer ist es, wenn man sich davor auch selbst verliert. Das langsame Entschwinden meines Vaters hat sich tief in mich eingeprägt, wie ein schwerer Schatten begleitet mich diese Zeit. Im Nachhinein weiß ich, dass es seine Geschichte ist, die mich bewog, diesen Film zu machen. Als er bettlägerig war, kümmerte sich meine Mutter jahrelang aufopfernd um ihn, bis sie nicht mehr konnte und er schließlich ins Heim kam. Ich sah ihn damals nur sporadisch und leider auch zu selten.
Als sich bei Christl, der Mutter meines Freundes Michael, eine ähnliche Entwicklung abzeichnete und er, im Gegensatz zu mir, die Aufgabe der Pflege annahm, wollte ich die beiden mit der Kamera begleiten und seine, meine, unsere Geschichte erzählen. Es ist eine kleine Geschichte – und gleichzeitig auch eine große, da sie uns alle betrifft.
„Wir werden sicher ein eingespieltes Team werden“, sagt Michael auf der Terrasse. Er zieht zurück in sein Elternhaus, das sich nah und doch so fremd anfühlt. Er leidet an einer Lungenkrankheit und Angstzuständen – und ist traumatisiert von einem langen Krankenhausaufenthalt. Seit vielen Jahren leidet er an Depressionen. Trotzdem will er sich um seine Mutter, die immer mehr Hilfe im Alltag benötigt, kümmern. Keine gute Ausgangslage für so eine große Aufgabe, könnte man meinen. Sein altes Kinderzimmer, in das er wieder einzieht, ist aufgeladen von Erinnerungen. Der frühe Verlust des Vaters wiegt bleiern und wirft Fragen auf, die sich in seinen Fotoarbeiten niederschlagen. Für Michael steht außer Frage, dass seine neue Aufgabe die Betreuung der Mutter ist.
In der Fürsorge findet er Halt und Geborgenheit, kompromisslos lässt er sich auf die Aufgabe ein, während er von den goldenen Zeiten seiner Fotografiekarriere träumt. Den Begriff der Pflege lehnt er ab, für ihn ist es die bedingungslose Liebe zu seiner Mutter, die ihn antreibt. Vielmehr entwickelt sich aus dem Suchen und den Bedürfnissen der beiden eine Beziehung, die zu einer Lebensgemeinschaft wird und eine neue, starke Kraft in sich birgt. „Ich brauche die Mama mehr, als sie mich“, sagt Michael einmal. Er lässt sich ganz auf diese besondere Form des Zusammenlebens ein, die Mutter wird zum wichtigsten Bezugspunkt. Die Mutter-Sohn-Beziehung und Michaels Umgang damit werden zum zentralen Erzählstrangs des Films.
Super-8-Filme tauchen auf, die voller Nostalgie sind und doch spürt man in diesen alten Familienfilmen eine Vorahnung, wie es einmal sein wird. Der Blick in die Vergangenheit bereitet Unbehagen, weil man dabei auch irgendwie in die Zukunft blickt. Eine große Frage, vielleicht wieder eine Urangst, steht im Raum: Was passiert, wenn uns die Kraft versagt und wir uns nicht mehr um unsere Liebsten kümmern können? Während die leichte Demenz der Mutter stabil bleibt, beginnt die Gesundheit des Sohnes zu kippen. Wie wird es weitergehen, wie wird sich seine, die Geschichte der beiden entwickeln?
Michael und ich sind seit über dreißig Jahre befreundet, er war immer klar und überzeugt und oft auch kompromisslos in seinem Tun. Der Sohn, der für die Mutter da ist – eine eher untypische Konstellation, werden in unserer Gesellschaft doch traditionell Frauen in diese Rolle gedrängt . „Eine skurrile Situation, in der ihr beide lebt“, meint ein Freund. „Meine Mama ist im Moment der wichtigste Mensch in meinem Leben“, entgegnet Michael. Christl braucht Michael zur Bewältigung des Alltags, sei es, wenn er sie zum Arzt bringt, das Essen serviert, die Tabletten einsortiert oder ihr beim Duschen hilft. Aber genauso braucht Michael die Mutter. Bei ihr findet er Sicherheit: „Sie ist der einzige Mensch, der mich immer so akzeptiert hat, wie ich bin.“ Das Haus, sein kleines Kinderzimmer wird zu seinem Zufluchtsort. Die Mutter gibt ihm einen Grund, in der Früh aufzustehen. Zum Glück verschlimmert sich ihre Erkrankung nicht.
„Für mich ist es ein Liebesfilm“, meint Michael einmal während der Produktion. Wir alle kennen diese Momente der Verzweiflung, wenn nichts mehr geht und wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Und dann ist da dieser gläserne Schlüssel, den wir nur ergreifen müssen, der uns eine Chance gibt und eine neue Tür öffnet. Vielleicht haben die beiden den Schlüssel gefunden?
Am Ende ist es die Liebe, die alles trägt und uns in schweren Stunden zusammenhält.
Analog zur Erosion tradierter Formen der Fotografie in der Zeit der Digitalisierung verändert sich der Fokus des Fotografen Michael vom weitgereisten Abenteurer hin zu wesentlichen Seinsfragen. Wie schafft er es, sich so zu wandeln, vom Lebemenschen zum fürsorglichen Sohn, dessen Lebenszentrum immer mehr das Haus der Eltern und sein ehemaliges Kinderzimmer werden. Ist es aus der Zeit gefallen, dass ein Sohn sich ganz auf eine Aufgabe fokussiert?
Michael Appelts Welt spiegelt sich in seinen Fotoarbeiten, die im Keller ruhen. Als eigener Erzählstrang begleiten sie uns, zeigen das Unsichtbare, das sein Leben beherrscht und in ihnen greifbar wird. Sie zeigen eine tiefe Auseinandersetzung mit sich selbst, den Betrachter*innen öffnet er sich völlig. Ein Bild zeigt ihn nackt in der elterlichen Küche in Handschellen und einem Plastiksack über dem Kopf. Der rettende Schlüssel am Boden, ein einziger Hilfeschrei, es gibt noch eine Chance - ergreife sie, um zu überleben!
Die Kellertreppe als Geburtskanal befördert die Bilder ans Tageslicht – etwas bricht auf und lässt uns teilhaben. Seit langem hat Michael wieder eine Ausstellung. Treffend beschreibt es der Kurator Frank Robert in seiner Laudatio: „Abgründe tun sich auf, Verzweiflung findet seinen Platz. Aber dadurch, dass diese Gefühle sichtbar werden, lassen sie sich auch bezwingen und wir finden in diesen Momenten den Kern in Michael Appelts Arbeiten, in denen die Liebe sichtbar wird und gewinnen kann, gerade in Zeiten von Ungewissheit und Not.“
In drei fotografischen Arbeiten - „We Are Hell“ - analysiert Michael Appelt Beziehungen. Eine Auseinandersetzung mit der Beziehung zu sich selbst (Sterben) und die Beziehung zu den Menschen, die er liebt (Leben). Im dritten Teil geht es um die Beobachtung eines anderen (Existenz).
Michael Appelt über seine Arbeiten: „Beziehungen sind ambivalent. Auf der einen Seite bedeuten sie Nähe, Vertrauen, Sicherheit, Glück und Heimat. Auf der anderen Seite sind sie von der latenten Angst geprägt, dass sich alles ins Gegenteil kehrt. Ursprung von Verzweiflung, Untergang, Zusammenbruch und Verlust.“
Die Aufnahmeorte seiner Fotografien, die ein zentrales Element seines Narrativs sind, finden wir in der nächsten Umgebung seiner Kindheit: im Haus der Eltern, im Garten „Blutsbrüder“, in der Küche „Selbstmordszene“, auf der Straße vor dem Haus „Cowboy und Indianer“, im Wohnzimmer „Mickey Mouse“, im Schlafzimmer der Eltern „Michael mit der Mutter im Brautkleid“. Schon lange beschäftigt sich Michael mit der psychologischen Aufarbeitung seiner Kindheit und Jugend, mit dem Tod des Vaters. Im Film besuchen wir ihn an den Schauplätzen seiner Bilder und finden eine seltsame Analogie: Genauso wie er in seinen Fotografien, versuchen auch wir Antworten zu finden.
Michael Appelt unterstützt seine Mutter bei den Verrichtungen des täglichen Lebens. Seine Tätigkeit wird als informelle Pflege bezeichnet:
Informelle Pflege bedeutet, dass pflegebedürftige Menschen von nahestehenden Personen, wie zum Beispiel Familienmitgliedern, Freund*innen oder Nachbar*innen ohne professionelle Ausbildung und Bezahlung unterstützt werden. Diese Unterstützung kann verschiedene Aufgaben umfassen, wie zum Beispiel: Grundpflege (Unterstützung bei der Körperpflege, An- und Ausziehen, Essen und Trinken), Mobilität (Begleitung beim Gehen, Transfer im Rollstuhl oder Unterstützung beim Treppensteigen), Haushaltsführung (Einkaufen, Kochen, Putzen und Wäschewaschen), Begleitung (Unterstützung bei Arztbesuchen, Behördengängen und Freizeitaktivitäten) oder emotionale Unterstützung (Zuhören, Reden und Trost spenden).
Informelle Pflege ist ein wichtiger Bestandteil des Pflegesystems und entlastet die professionelle Pflege deutlich. Rund 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Österreich werden zu Hause von ihren Angehörigen gepflegt.
Formelle Pflege: Im Gegensatz zur informellen Pflege wird die professionelle Pflege durch ausgebildete Pflegekräfte in ambulanten Pflegediensten oder stationären Pflegeeinrichtungen durchgeführt. Die Kosten für die formelle Pflege werden teilweise von der Pflegeversicherung übernommen.
In Österreich gehen 800.000 Menschen einer informellen Pflegetätigkeit nach. Das heißt: Jede*r zehnte sorgt rund um die Uhr für eine*n Familienangehörige*n! Und der Bedarf wird steigen: In der EU wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen voraussichtlich von 30,8 Millionen im Jahr 2019 auf 38,1 Millionen im Jahr 2050 steigen.
Der Film soll Katalysator sein, für ein immer wichtiger werdendes Thema sensibilisieren, Tabus abbauen helfen und die Chancen für mehr Austausch und Offenheit im Zusammenhang mit diesem Thema bieten.